Als die deutsche FuĂball-Nationalmannschaft im Sommer 2022 mit hĂ€ngenden Köpfen im riesigen, lauten Rund des Wembley-Stadions steht, sahen sie nicht wirklich wie Siegerinnen aus. Waren sie faktisch auch nicht. Und irgendwie waren sie es trotzdem.
Mit Sicherheit hat in diesem Moment in erster Linie die EnttĂ€uschung und der Frust ĂŒberwogen. Ăber das was sie gerade verpasst hatten. Aber höchstens 24-Stunden spĂ€ter â nach einer ausgelassenen Feier im Mannschaftshotel und einem spektakulĂ€ren Empfang am nĂ€chsten Tag auf dem Römer in Frankfurt wurde ihnen alle bewusst: wir haben gewonnen!
Vielleicht nicht diesen einen EM-Titel.
Aber dafĂŒr Respekt, Anerkennung und Akzeptanz. Â
Im Rahmen der EM wurde im Juli 2022 das Thema "FrauenfuĂball" von DFB-Chef Neuendorf zur "Chefsache" erklĂ€rt. Auch der Bundeskanzler Olaf Scholz wollte sich persönlich fĂŒr das Thema "Equal Pay" stark machen.
GeÀndert hat sich leider nicht sehr viel. Obwohl es höchste Zeit wÀre.
Warum ist das so?
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WĂ€hrend sich FuĂball-Deutschland â und vor allem die deutsche Boulevard-Presse â wieder einmal nach einem Endspiel gegen die Gastgeber im Wembley-Stadion von den Unparteiischen um einen groĂen Titel gebracht fĂŒhlt, sollten wir uns eigentlich ĂŒber etwas ganz anderes beschweren. Seit Jahrzehnten bringen wir uns selbst jeden Tag auf neue um das was wir FuĂballfans am meisten begehren: fairen und ehrlichen Sport, emotional, hochklassig und begeisternd.
Wir ignorieren ihn, weil er von Frauen gespielt wird. Â
Wir gehen nicht ins Stadion, wir zeigen die Spiele nicht oder nur zu den unpassendsten Sendezeiten im TV und vor allem vergĂŒten wir die erbrachte Leistung nur mit einem Bruchteil dessen, was uns das Spiel der mĂ€nnlichen Pendants wert ist. Letzteres folgt einer ganz simplen marktwirtschaftlichen Logik: VergĂŒtung im ProfifuĂball â also der Entertainmentbrache â richtet sich nach Umsatz.
Je mehr Menschen zuschauen, desto gröĂer die Ticket- und TV-Rechteeinnahmen, Merchandise-Erlöse und WettbewerbsprĂ€mien. Und dass so wenige zuschauen liegt ja in erster Linie daran, dass es sich beim âFrauenfuĂballâ um dritt- oder viertklassigen FuĂball handelt.
Das Problem: diese Logik und diese Annahmen sind grundsÀtzlich falsch.
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Es handelt sich hier nicht um die Randdisziplin einer populĂ€ren Sportart. Sondern um einen gleichwertigen und essenziellen Teil von FuĂball. NatĂŒrlich kann man zwischen Frauen- und MĂ€nnerbundesliga oder Europa- und Weltmeisterschaften auch terminologisch differenzieren.
Aber gleichermaĂen und auf Augenhöhe. Nicht in einem sprachlich-suggerierten Zweiklassenmodel.
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WĂŒrde die deutsche Frauen-Nationalmannschaft gegen die deutsche MĂ€nner-Nationalmannschaft gewinnen? Nein!
Ist das wichtig? Nein!
Im FuĂball ziehen wir seit jeher einen geschlechterspezifischen Leistungsvergleich, der so nur im FuĂball existiert. Â
Steffi Graf hĂ€tte wahrscheinlich nie ein Tennismatch gegen Boris Becker gewonnen.  WĂ€re Magdalena Neuner bei den MĂ€nnern mitgelaufen, hĂ€tte sie keinen einzigen Titel geholt. Gina LĂŒckenkemper war bei ihrer EM-Goldmedaille in MĂŒnchen ĂŒber 100m 0,8 Sekunden (7,85 %) langsamer als Lucas Ansah-Peprah, der als schnellster Deutscher im Halbfinale ausgeschieden war. Â
Warum ziehen wir im FuĂball einen Vergleich, der im Sport einmalig ist?
Physische bzw. athletische Unterschiede bei MĂ€nnern und Frauen sind ein biologischer Fakt. Aber nur im FuĂball scheinen sie relevant zu sein, um Leistung zu beurteilen und zu honorieren.
Aus unserer Sicht fasst das auch sehr gut das Statement unserer Markenbotschafterin Lina Magull zusammen.
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Das bedeutet nicht, dass der FrauenfuĂball abgesehen von den athletischen Unterschieden seit jeher auf Augenhöhe mit dem MĂ€nnerfuĂball war. Lange waren taktische und technische Defizite offensichtlich.
Warum?  Weil Frauen bis 1970 ĂŒberhaupt keinen FuĂball spielen durften. 100 Jahre RĂŒckstand lassen sich nun mal nicht so einfach aufholen. Vor allem nicht in der Breite. Aber anstatt diese historische Ungerechtigkeit mit aller Kraft aufzuarbeiten und ausgleichen zu wollen, nehmen wir die ihr entsprungene Ungleichheit als Legitimation zur SelbstverstĂ€rkung. Â
Es geht an diesem Punkt nicht um Wiedergutmachung. Aber es geht darum, diese historische Tatsache zur Kenntnis zu nehmen und sie in einer Beurteilung der Gemengelage zu berĂŒcksichtigen.
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Leider ist das Leistungsniveau nicht der einzige Bereich der in der Vergangenheit kompromiert wurde. Ein solches Verbot â vor allem dann wenn es gesellschaftliche Akzeptanz genieĂt â erwirkt auch einen kompletten Entzug der öffentlichen Aufmerksamkeit und WertschĂ€tzung.
Vielleicht war diese Europameisterschaft nicht nur der lang benötigte Impuls, um die sportliche Exzellenz der Spielerinnen zu erkennen, sondern sie auch entsprechend anzuerkennen. Zu einem Frauenbundesligaspiel ins Stadion zu gehen, kann mindestens so viel Spaà machen wie in der MÀnnerbundesliga. (Kleiner Insidertipp: das Bier schmeckt gleich. Wir haben es ausprobiert.)
Und sie dĂŒrfen auch mal gern im TV gezeigt werden. Einschaltquoten sind ĂŒbrigens auch Gewohnheit und Gelegenheit. Wer mehr FrauenfuĂball schauen kann, schaut am Ende auch mehr davon. Wem immer nur MĂ€nnerfuĂball angeboten wird, interessiert sich auch nur dafĂŒr. Oder in anderen Worten: Medien richten sich nicht nur nach dem Markt, sie konstruieren ihn auch. Â
Womit wir ja irgendwie wieder beim Thema Geld sindâŠ
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Equal Pay. Derzeit, eine der prominentesten Verteilungs- bzw. Gelddebatten Deutschlands. Nach der Gasumlage und den neuen DAZN-Preisen. Â
Das spannende an Equal Pay ist ja, dass ihre KomplexitĂ€t oft bewusst ignoriert oder einfach vergessen wird. Equal Pay ist nicht gleich Equal Pay. Wir mĂŒssen vor allem differenzieren zwischen Vereins- und NationalmannschaftsfuĂball, sowie Grundgehalt und ErfolgsprĂ€mien.
Der VereinsfuĂball unterliegt tatsĂ€chlich den Gesetzen des Marktes.
Die allermeisten ProfifuĂballabteilung sind deswegen inzwischen auch aus den Hauptvereinen ausgegliedert worden. Gleiche GehĂ€lter wĂ€ren zwar theoretisch möglich, sind faktisch â Stand jetzt â utopisch.
Anders die Nationalmannschaften.
Sie sind dem DFB untergeordnet, rechtlich und laut Satzung ein gemeinnĂŒtziger Verein mit folgender in der Satzung verankerten Aufgabe: âZweck des DFB ist die Förderung des Sports. Dieser Satzungszweck wird verwirklicht insbesondere durch die Vermittlung von Werten im und durch den FuĂballsport, unter besonderer BerĂŒcksichtigung der Verwirklichung der Gleichberechtigung von Mann und Frauâ und âdie angemessene UnterstĂŒtzung gesellschaftspolitischer Aspekte mit den Möglichkeiten des FuĂballsâ.
Darum geht es derzeit bei Equal Pay.
Die Frauen-Nationalmannschaft spielt die gleichen groĂen Turniere wie die MĂ€nnernationalmannschaft. Dabei reprĂ€sentiert sie FuĂball-Deutschland wahrschlich besser, da mindestens so erfolgreich und mit deutlich weniger theatralisch. Die ungleichen PrĂ€mien (VerhĂ€ltnis 6:1), rechtfertigt der DFB mit den erhaltenen Erlösen und PrĂ€mien von UEFA und FIFA.
Ein Verteilungsmodell, dass sich nach ausgeschĂŒtteten Geldern von VerbĂ€nden richtet, die Weltmeisterschaften nach Russland und Katar verkaufen, sollte an dieser Stelle vielleicht einfach mal ĂŒberdacht werden. Auf der Suche nach neuen Handlungsmaximen hilft manchmal auch ein Blick in die eigene Satzung.
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Es geht im Moment allerdings um mehr als nur um Geld. Es geht um mehr als 23 FuĂballerinnen und die Konversion von fĂŒnfstelligen zu sechsstellige Bonuszahlungen. Es geht um die Botschaft, die wir damit senden und um den Standard, den wir damit setzen. Denn diese Debatte ist keine sportspezifische Neiddebatte, sie hat lĂ€ngst eine gesellschaftliche Dimension.
Sie steht fĂŒr die nach wie vor existierende strukturelle Benachteiligung von Frauen und fĂŒr die traurige Wahrheit, dass gleiche Leistung nicht immer gleich honoriert wird.
An diesem Punkt kontradiktiert sich unser kapitalistisches VerstĂ€ndnis von Leistungsgesellschaft. Und genau dann mĂŒssen Politik und/oder Zivilgesellschaft einschreiten.
Der DFB, als sehr relevanter Teil dieser Zivilgesellschaft â seine Relevanz betrĂ€gt ĂŒber sieben Millionen Mitglieder â hat hier (s)eine Verantwortung. Diese Verantwortung ist gleichzeitig eine Chance: um historisch konstruierte Ungleichheit nicht weiter zu verstĂ€rken oder zumindest zu manifestieren, sondern ihr aktiv entgegenzutreten. Nur dann, wenn wir uns nicht mehr den marktwirtschaftlichen Gesetzlichkeiten beugen, sondern sie nach unserer Façon neu definieren haben wir eine Chance auf Gleichberechtigung. Manch einer möchte an diesem Punkt vielleicht vorhalten, es ginge doch nur um Sport.
Aber es geht hier nicht nur um den Sport.
Sport und insbesondere der FuĂball, sind fĂŒr viele ein wesentlicher Teil unseres gesellschaftlichen Miteinanders. Gesellschaftliche Entscheidungen im FuĂball besitzen Tragweite und er besitzt unzweifelhaft eine prominente Vorbildfunktion.
Deswegen glauben wir auch ĂŒber Sport gesellschaftliches Zusammenleben beeinflussen zu können. Es widersprĂ€che unserem VerstĂ€ndnis von gesellschaftlicher Verantwortung, sich nur als sportwissenschaftlicher Dienstleister zu verstehen. Â
Egal ob wir, der DFB oder irgendein anderer Akteur im Sport.
Je eher wir verstehen, dass auch wir eine Vorbildfunktion haben, dass es in unserer Macht steht gesellschaftlichen Wandel zu initiieren und Gleichberechtigung zu konstruieren, desto frĂŒher ernten wir FrĂŒchte unserer Arbeit. FĂŒr manche von uns ist das Gerechtigkeit. FĂŒr die kommerziellen Akteure im Sport ist es die Chance der nachhaltigen Entwicklung eines Zukunftsmarktes.
FĂŒr uns die SelbstverstĂ€ndlichkeit des Privilegs an diesem Wandel mitwirken zu dĂŒrfen.
Es ist die Chance unsere Kinder nicht mehr damit konfrontieren zu mĂŒssen, dass sie von Geburt an ungleiche Chance im Leben und auf dem Arbeitsmarkt haben, sondern ihnen erklĂ€ren zu dĂŒrfen, dass ihre Gleichberechtigung ihr Geburtsrecht ist. Â
Es ist die Chance aus dem Teufelskreis der sich selbst verstĂ€rkenden Ungerechtigkeit, in der wir bestehende Ungleichheit als Legitimation fĂŒr ihre Kontinuation verstehen, auszubrechen und einen Engelskreis, des sich selbstverstĂ€rkenden Anspruchs auf Gleichberechtigung, zu konstruieren.
Be fearless. Be focused. B42